Gregor VII.

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Gregor VII., ursprünglich Hildebrand (von Soana). * zwischen 1025 und 1030 möglicherweise in Sovana; † 25. Mai 1085 in Salerno, war vom 22. April 1073 bis 1085 Papst.

Manche hielten ihn für den Verfasser des Hymnus "Veni creator spiritus", der mehrheitlich Hrabanus Maurus zugesprochen wird.


Brockhaus 1838

[263] Gregor VII. (1073–85). Er hieß, ehe er den päpstl. Stuhl bestieg, Hildebrand, brachte seine erste Jugend in Rom zu und trat dann in das Kloster Clugny in Frankreich.

Durch den Papst Leo IX. kam er nach Rom und hier wirkte er unbemerkt, lange ehe er selbst zum Papst erwählt wurde, vorbereitend für seine großen Pläne, indem er mit seinem tiefblickenden Geiste sich den größten Einfluß auf die nacheinander regierenden Päpste zu verschaffen wußte. Bisher war das Verhältniß der katholischen Geistlichkeit zum röm. Stuhle immer noch ein sehr lockeres gewesen, indem eine Menge weltlicher Rücksichten den Geistlichen näher als das kirchliche Interesse lagen. G. wollte für immer die gesammte Geistlichkeit mit unauflöslichen Banden an den päpstl. Stuhl binden und dadurch diesem eine durch die ganze Christenheit reichende Macht verschaffen, welche auf dem festen Grunde des Glaubens ruhte, und der alle geistigen und durch diese auch alle weltlichen Verhältnisse der christlichen Menschheit untergeordnet wären. Kaum war er daher selbst zur päpstl. Würde gelangt, als er diejenigen Schritte that, welche zur Erreichung seines Zwecks die geeignetsten waren. Schon seit längerer Zeit waren fast allgemein auch andere, besonders aber geistliche Ämter, von Denen, welche dieselben zu besetzen hatten, für Geld käuflich, welcher mit Recht für sündlich geltende Misbrauch Simonie genannt wurde. An die weltlichen Interessen wurden ferner die Priester auf das engste durch Frauen und Kinder gebunden, an deren Versorgung sie zu denken hatten. Zwar geboten schon ältere Kirchengesetze die Priesterehe (s. Cölibat), aber man hatte sich wenig mehr um die alten Gesetze der Kirche bekümmert. G. VII. trat [263] sogleich mit den strengsten Verboten gegen Simonie und Priesterehe auf; Jeden, der seinen Verboten zuwiderhandelte, traf der Bannfluch. Bald darauf wurde die Investitur, d.h. die Bekleidung eines Geistlichen mit einem Amte von einem Weltlichen (Laien), bei Bann, sowol den Geistlichen sie anzunehmen, als den Laien sie zu ertheilen, verboten. Dadurch wurde die Besetzung aller geistlichen Ämter vom Papste abhängig. G. that alsbald fünf Bischöfe und mehre kais. Räthe, die sich des Verbrechens der Simonie schuldig gemacht, in den Bann. Kaiser Heinrich IV. (s.d.) aber kümmerte sich um diese Anordnungen nicht, behielt die gebannten Räthe in seinen Diensten und schützte die Bischöfe in ihren Ämtern. Bald aber mußte der Kaiser die Gewalt der Kirche auf das schmerzlichste empfinden. G. VII. lud ihn 1076 zur Verantwortung vor eine Synode nach Rom, und als Heinrich hiernach auf einer Synode zu Worms den Papst für abgesetzt erklären ließ, sprach dieser über ihn den Bannfluch aus, indem er zugleich alle Unterthanen des Kaisers vom Eide der Treue und Unterthanenpflicht lossprach. Sogleich erhoben sich alle öffentlichen und heimlichen Gegner des Kaisers; ja die deutschen Fürsten, welche sich zu Oppenheim versammelt hatten, faßten sogar den Beschluß, daß, um die Ruhe und Ordnung im Reiche herzustellen, ein neuer Kaiser gewählt werden sollte. Heinrich sah sich nun gezwungen, allen Foderungen G.'s nachzugeben, ja er ging, nur von seiner Gemahlin und einem treuen Diener begleitet, im Winter über die Alpen und erschien vor dem Papste als Büßender und Bittender. G. war auf dem Schlosse Canossa, und hier wurde Heinrich endlich, in ein härenes Gewand gekleidet, mit nackten Füßen, nachdem er drei Tage lang im Hofe des Schlosses geharrt hatte, vor den Papst gelassen und vom Banne losgesprochen. In Deutschland wurde indeß der Herzog Rudolf von Schwaben zum Kaiser gewählt. Es kam zu einem Kampfe um die Oberherrschaft, welchen G. benutzte, sein Ansehen immer fester zu begründen. Er erklärte sich nach langem Zaudern endlich für Rudolf, worauf Heinrich 1080 in Brixen ein Concil versammelte, auf dem G. nochmals abgesetzt und der im Bann lebende Erzbischof von Ravenna, als Clemens III., zum Papst erwählt wurde. Das Glück wurde Heinrich günstiger, der Gegenkaiser besiegt und G. selbst drei Jahre in der Engelsburg belagert. Robert Guiscard, der Herzog von Apulien, befreite endlich G., aber die Römer selbst empörten sich gegen ihn und er begab sich nach Salerno, wo er 1085 starb.

Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 263-264. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20000831034


Herders

[133] Gregor VII., Hildebrand, aus niederm Stande, man weiß nicht wo, um 1010 geb., der größte aller Päpste, ein staatsmännisches Genie und im Feuer des Christenglaubens gestählter Charakter, von der Vorsehung auserwählt, um die Christenheit vor dem Kaiserpapstthum und geistiger Erstarrung zu bewahren. In Clugny unter Odilo gebildet, begleitete er den Papst G. VI., seinen frühern Lehrer, nach Deutschland und erwarb durch die ungewöhnliche Kraft seiner Predigten die Achtung des Kaisers Heinrich III. Mit Leo IX. (1048 bis 54) kam Hildebrand nach Rom, wurde Cardinaldiakon und leitete alle Unternehmungen dieses Papstes; die Wahlen u. Regierungen der Nachfolger Victors II. von 1054–73 waren mehr oder minder Hildebrands Werk. Den Kampf gegen Ketzereien (Berengar und dessen Abendmahlslehre) behandelte er zumeist nur als Nebensache, weil der Geist des Jahrh. für die Kirchenlehre war, desto entschiedener dagegen wirkte er mit P. Damiani (s. d.) gegen Simonie (Concil von Rheims 1055) und Concubinat (zunächst in Mailand), sowie gegen das Parteigetriebe des Adels u. die Launen des Pöbels in Rom (Lateranconcil für Regulierung der Papstwahl 1059). Als der Normannenherzog Robert Guiscard sich zum Vasallen des Papstes erklärt hatte, besaß dieser eine Schutzmauer gegen die Uebermacht der Kaiser sowie gegen die Aufruhrsucht der Römer. Die Verwirrung unter Papst Alexander II. (1061–73) beugte Hildebranden nicht, der nach einmüthiger Wahl am 2. Febr. 1074 als G. VII. zum Papste geweiht wurde. Das triftigste Zeugniß, wie sehr dieser seine Zeit kannte und beherrschte, war die Durchführung der alten in Vergessenheit gerathenen Cölibatgesetze sowie der Beginn des Investiturstreites (Synoden von Rom 1074 und 75), welch letztern er mindestens in die rechte Bahn lenkte. G. VII. Kampf mit Heinrich IV. blieb vor und nach dem merkwürdigen, doch meist nur einseitig betrachteten Auftritte zu Canossa im Jan. 1077 ein mit allen Waffen der Staats- u. Kriegskunst geführter Weltkampf zwischen Kirche und [133] Staat, dessen Entscheidung wohl zum Glücke beider Theile u. der Menschheit weder eine vollständige noch dauernde war. Am größten aber erscheint G. da, wo seine äußere Macht am kleinsten war. Während Heinrich IV. 1081 in Italien eindrang u. namentlich Mathildens Besitzungen schrecklich heimsuchte, erneuerte G. VII. seine Verordnungen hinsichtlich der Kirchendisciplin sowie den Bann des Kaisers u. als dieser vor der Engelsburg stand, wollte jener nur Frieden unter der Bedingung, daß der Kaiser durch Buße die Kirche als die über ihm stehende Macht anerkenne. Der Gegenpapst Clemens III. ward in der Peterskirche geweiht, der Kaiser gekrönt, aber die Ankunft des Normannenherzogs Robert Guiscard zwang Beide zur Flucht. G. VII. erneuerte seine Beschlüsse gegen Heinrich IV. und als Robert Guiscard sich weniger als sein Vasall denn als Herr gebärdete, verließ er Rom u. st. am 25. Mai 1085 zu Salerno mit den bedeutungsschweren Worten: »Ich habe das Recht geliebt u. das Unrecht gehaßt, deßhalb sterbe ich in der Verbannung«.

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 133-134. Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003357457


Vollständiges Heiligen-Lexikon

[497] S. Gregorius VII. (Hildebrandus), Papa. (25. al. 4. Mai). Mit Recht beginnen die Bollandisten den Commentar über das Leben dieses Papstes mit den Worten: »Er erlitt sehr viele Verfolgungen bei Lebzeiten und nach dem Tode noch Verleumdungen.« Aber diese erhöhen seine Ehre, wie jene ihn als unvergleichlichen Helden für den Glaubenerscheinen lassen. Der hl. Gregor wurde nach Einigen zu Soana oder Sovana (Suanum) in Toscana (nicht Saona, wie Mehrere haben), nach Andern aber zu Rom geboren, und erhielt in der heil. Taufe den Namen Hildebrandus. Wann er geboren worden, und wer seine Eltern gewesen, ist selbst nach den neuesten Forschungen unentschieden. Einige lassen ihn von adeligem, Andere von bürgerlichem Geschlechte95 abstammen. Darin aber stimmen [497] Alle überein, daß sie durch Frömmigkeit ausgezeichnet waren. Sicher ist, daß er seine Erziehung und erste Bildung im Kloster St. Maria auf dem Aventinischen Hügel zu Rom erhielt. Hier scheint er auch ins Kloster getreten zu seyn, da er von dem Bischofe Bruno von Segni ein Mönch von Rom genannt wird. Aus seiner Jugendgeschichte ist wenig bekannt. Wie alles Große, das die Welt in Erstaunen und Bewunderung setzt, wuchs er im Stillleben christlicher Zucht und in der Verlängnung seiner selbst auf. Die Stärke des Willens, die Kraft und Ausdauer mitten im Kampfe der erregtesten Leidenschaften, der ruhige, sichere Blick in der Gefahr, das unerschütterliche Gottvertrauen, die unbefleckte Reinheit seines Lebens, dem die giftigste Feindschaft keine Makel anhängen konnte, bedurfte einer guten und langen Schule, die er denn auch zu Rom und dann später als Mönch in der berühmten französischen Benedictiner-Abtei von Clugny durchmachte. Ins öffentliche Leben trat er als Caplan seines frühern Lehrers Gregor VI. (S. Gregorius93). Man darf annehmen, daß dieser im J. 1046 auf seinen Rath das Papstthum niederlegte, um dadurch der Kirche den Frieden zu geben. Sie gingen dann mit Kaiser Heinrich III. nach Deutschland und später nach Clugny, wo unser Hildebrand bei seinem Lehrer bis zu seinem Tode (um 1048) verblieb und unter der Leitung des hl. Abtes Odilo so große Fortschritte in der Tugend machte, daß er dann zum Prior gewählt wurde. Die Erfahrungen, die der ebenso Geistes als willenskräftige junge Mann in Deutschland und Frankreich machte, was er hier sah und hörte, hatte gewiß den entschiedensten Einfluß auf sein späteres Leben, und nicht mit Unrecht haben die tiefblickendsten Geschichtsforscher vermuthet, schon in dieser Zeit sei in ihm der Gedanke oder die Sehnsucht erwacht, eine Erhebung der Kirche aus ihrer Versunkenheit zu wagen und namentlich eine größere Freiheit für sie zu erlangen. Wie groß sein Ansehen und die Macht seines Einflusses bereits nach dem Ableben des Papstes Damasus II. (1048) geworden war, zeigte sich, als dessen Nachfolger Bruno von Egisheim, Bischof von Toul, als Papst Leo IX. auf seiner Reise nach Rom durch Besançon kam und hier durch den Abt von Clugny benachrichtigt wurde, daß Hildebrand ihn, weil er jetzt schon, ohne noch kirchlich gewählt zu seyn, die päpstlichen Insignien trage, für einen Apostaten ansehe, und sich weigere, ihm entgegen zu gehen, worauf Bruno sogleich jene Ehrenzeichen ablegte und als einfacher Pilger, Hildebrand mit sich nehmend, nach Rom rog, um sich dort förmlich wählen zu lassen. So wenigstena schreiben Otto von Freysing u. A., während der hl. Bruno, Bischof von Segni (Signia), als Augenzeuge erzählt, der hl. Gregor (Hildebrandus) sei bereits von Worms ab mit dem hl. Leo IX. gereist. Doch wird auch von diesem Gewährsmann bestätigt, daß Hildebrand gegen Leo eingenommen gewesen sei, weil er nicht nach kanonischer Ordnung, sondern vermöge der Einsetzung königlicher Gewalt von der römischen Kirche Besitz ergreifen wollte, wie denn auch die Neuwahl Leo's IX. durch den Klerus und das Volk von Rom historisb festgestellt ist. (Apr. II. 643). Der Papu erkannte in Hildebrand den großen, mächtigca Geist, der überall und gegen Jeden nur der Wahrheit und dem Rechte Zeugniß gab, und schenkte ihm daher sein ganzes Vertrauen. Aus diesem Grunde darf man wohl annehmen, daß Gregor's großartige Thätigtett für die katholische Kirche von dem Augenblick seiner Bekanntschaft mit Leo IX. beginne. Papst Leo IX. erhob ihn bald zum (Cardinal-) Subdiakon der römischen Kirche und übergab ihm das Amt eines Güterverwalters des Stuhles Petri. Im J. 1051 ernannte er ihn auch noch zum Abte von St. Paulus in Roa Zugleich bediente er sich seiner als Rathgeber und Gehilfen in der Leitung der ganzen Kirche, namentlich aber in der Zurückführung des Klerus zur alten Reinheit und Einsachheit der Sitten. Das Volk selbst mochte die unenthaltsamen Geistlichen nicht leiden, und im Kampfe gegen sie wies Hildebrand mit richtigem [498] Blicke auf diesen Umstand, um ihn für die Reform des Klerus zu benützen. Als Papst Leo IX. nach ruhmvoller und gesegneter Leitung der Kirche im J. 1054 starb, befand sich Hildebrand eben zu Tours in Frankreich, lehrte jedoch auf diese Nachricht nach Rom zurück, wo der Klerus und das Volk ihn selbst zum Papste wählen wollte. Er leitete aber die Wahl auf den Bischof Gebhard von Eichstädt, welcher – zu Calw im jetzigen Würtemberg als der Sohn des Grafen Hardwig von Calw geboren – nach W. W. (K.-L. IV. 698) nicht blos als der reichste Bischof von ganz Deutschland galt, sondern auch ein Verwandter des Kaisers Heinrich III. war, so daß sich also viel Gutes für die Kirche Gottes von ihm erwarten ließ, wie er denn auch wirklich den Kaiser dazu brachte, mehrere der römischen Kirche abgenommene Güter derselben wieder zurück zu erstatten. Nach längerer Weigerung nahm Gebhard die päpstliche Würde an und hielt als Victor II. strenge auf Zucht. Bald nach seiner Erhebung sendete er seinen Cardinal-Subdiakon Hildebrand als Legaten nach Frankreich, um dort gegen das weit verbreitete Laster der Simonie96 zu kämpfen. Wirklich gelang es ihm auch durch sein kräftiges Auftreten auf einer Synode zu Laon, daß mehrere Bischöfe sich als Simonisten bekannten und auf ihre Würden verzichteten oder sonst Buße thaten. In demselben Jahre hielt er in der Sache des Irrlehrers Berengar eine neue Synode zu Tours. Sein Verfahren mit ihm war schonend und mild. Nach der Vorschrift des Herrn sprach er mit Berengar anfänglich unter vier Augen, und als er sich bereit zeigte, die Lehre von der Wandlung, dem katholischen Glauben gemäß, öffentlich zu bekennen, ließ er ihn vor den versammelten Bischöfen folgenden Eid ablegen: »Ich Berengarius glaube mit dem Herzen und beschwöre mit dem Munde, daß Brod und Wein auf dem Altare nach der Einsegnung der wahre Leib und das wahre Blut Christi ist.« Als nach dem Tode des Papstes, Victor II. im J. 1057 der Abt von Monte Cassino, Friedrich von Lothringen, zum Papste gewählt wurde, war es neuerdings Hildebrand, den man, nachdem er zuvor zum Diakon geweiht und zum Archidiakon erhoben worden war, nach Deutschland schickte, um diese Wahl dem kaiserlichen Hofe anzuzeigen und dessen Bestätigung zu erwirken. Ehe er jedoch aus Deutschland zurückkehrte, starb der neue Papst Stephan IX. zu Florenz, wohin er sich begeben hatte, um seinen Bruder zu besuchen (im März 1058). Nach Stephan IX. gelang es dem Bischof Johann von Velletri mit Hilfe der von ihm gewonnenen Partei der Grafen von Tusculum97 des päpstlichen Stuhles sich zu bemächtigen; er nannte sich Benedictus X., konnte sich jedoch keinerlei Anerkennung erwerben und wurde dann durch den rechtmäßig gewählten Bischof Gerhard von Florenz, den auch die Kaiserin Agnes anerkannte, verdrängt. Auch dieser Papst, der den Namen Nikolaus II. annahm und bis zum J. 1061 regierte, bediente sich des Rathes und der thätigen Hilfe des Archidiakons Hildebrand; ja er wird als die Seele dieses Pontificats bezeichnet, und ihm insbesondere zugeschrieben, daß durch seinen Einfluß auf dem Concil im Lateran im J. 1059 neue, höchst folgenreiche Bestimmungen über die Papstwahl getroffen wurden und zwar so, daß diese Wahl, um den sonst dabei nicht selten vorgekommenen Unruhen etc. vorzubeugen, nun fast ausschließlich in die Hände der Cardinäle gelegt wurde. Der erste, welcher nach dieser neuen Wahlordnung gewählt wurde, war Hildebrand's Freund, der Bischof Anselmus (de Badagio) von Lucca, welcher dann auch als Alexander II. den päpstlichen Stuhl bestieg. Nach dem Tode des Papstes Nikolaus II. hatten nämlich sowohl die Grafen von Tusculum, die gern wieder einen von ihnen abhängigen Papst durchgesetzt hätten, als auch die Strengkirchlichen, an deren Spitze Hildebrand stand, Abgesandte an den kaiserlichen Hof gesendet und um Veranstaltung einer regelmäßigen Wahl gebeten. Da jedoch die Abgeordneten des Letzteren dort nicht einmalvorgelassen wurden, so faßte Hildebrand [499] als Archidiakon der römischen Kirche den Entschluß, ohne Verzug die Wahl vornehmen zu lassen, und lenkte sie auf den Bischof Anselm von Lucca. Zwar zeigte sich die Kaiserin Agnes ungehalten hierüber, und setzte diesem Papste einen andern, nämlich den Bischof Cadolaus (Cadalous) von Parma, unter dem Namen Honorius II. entgegen; dieser aber wurde nicht anerkannt, sondern tiildebrand und der hl. Petrus Damiani, Bischof von Ostia, wußten dem rechtmäßigen Papste Alexander II. Geltung zu verschaffen. Auch dieses Pontificates Seele war Hildebrand, bis er endlich selbst zur höchsten Würde hinanstieg. Sehr schön zeichnet der (protestantische) Geschichtsforscher Leo (Gesch. des Mittelalters Seite 167) sein Wirken während der eben geschilderten Periode seines Lebens in den kurzen Worten: »Von den Territorien der Normannen bis nach Mailand und die Nordgränze Italiens war eine Reihe von Männern thätig zu demselben Ziele, zur Erhebung der Kirche aus ihrer Ohnmacht, aus ihrer Versunkenheit. Die Seele, der domininirende Verstand war und blieb Hildebrand, der geistig mächtigste und genialste Staatsmann des Mittelalters.« – Am 22. März 1073 starb Papst Alexander II. In der Peterskirche war eine unermeßliche Menschenmenge versammelt, um die Leichenfeier des heil. Vaters zu begehen. Da erscholl plötzlich der Ruf: »Den Archidiakon Hildebrand erwählt der hl. Petrus zu unserm heil. Vater.« Doch wie es dabei zugegangen, und was er bei dieser Gelegenheit in seiner Seele empfand, beschreibt er selbst in einem Briefe an den Abt Desiderius von Monte Cassino, welcher als Victor II. sein Nachfolger wurde. Er sagt: »Der Tod des Papstes hat mich sehr angegriffen und in die äußerste Verlegenheit gesetzt. Als in der Kirche der Seelengottesdienst für ihn, unsern Gebieter, gehalten wurde, erhob sich plötzlich ein dumpfes Geräusch; Alle stürzten wie wüthend auf mich hin, so daß ich mit dem Propheten sagen kann: ›Hilf mir, o Herr! denn die Wasser sind gedrungen bis an meine Seele ...‹ (Ps. 68, 2 ff.) Ich bin entkräftet aufs Lager hingeworfen und vermag nicht, mich über meine Leiden weiter zu verbreiten. Ich beschwöre dich also bei dem allmächtigen Herrn, daß du mit deinen Brüdern und Söhnen in Christo bei Gott Fürsprache für mich einlegen wollest, damit das Gebet, welches mich gegen die Gefahr hätte beschirmen sollen, wenigstens nun, in der Gefahr, mir ein Hort seyn möge.« In dieser seiner Stimmung soll er nach W. W. (IV. 700) am Tage nach seiner Wahl an den jungen Kaiser Heinrich IV. eiligst Boten abgeschickt haben, um ihm seine Erwählung anzuzeigen und ihn um die Verweigerung seiner Zustimmung zu bitten. Gewiß ist, daß die Mehrzahl der deutschen Bischöfe, welche den Reformationseifer Hildenbrand's seit langer Zeit kannten und fürchteten, in den Kaiser drangen, die Wahl nicht zu bestätigen. Da jedoch seine zur Untersuchung der Wahl nach Rom abgeschickten Gesandten mit einem genügenden Resultate zurückkehrten, bestätigte Heinrich IV. dieselbe, und so wurde denn Hildebrand am 29. Juni 1073 in Gegenwart der Kaiserin Agnes in der St. Peterskirche zum Papst geweiht, als welcher er zu Ehren seines Lehrers Gregorius VI. den Namen Gregorius VII. annahm. Wie ihm in Erwägung der surchtbaren Schwierigkeiten bei der ihm übertragenen Heilung der von ihm wohl erkannten Wunden, die Hohe und Niedere, Geistliche und Weltliche im Laufe der Zeiten der Kirche geschlagen hatten, zu Muthe war, darüber äußerte er in einem Schreiben an den Herzog Gottfried von Toscana: »Unsere Erhebung, welche dir und den übrigen Gläubigen Anlaß zu einer frommen Meinung, zur Freude über uns ist, erregt in uns selbst die Bitterkeit innerlichen Schmerzes und die Bedrängnisse einer überaus großen Seelenangst. Denn wu sehen, welche Besorgnißrings um uns ist; wir fühlen, wie sehr uns die Last der übernommenen Bürde beschwert; wir sind uns unserer Schwäche bewußt und erzittern; unsere Seele verlangt lieber nach der Auflösung in Christus, als ein Leben in so großen Gefahren. Ja so sehr kümmert uns die Betrachtung des übernommenen Amtes, daß, wenn nicht, nach Gott, das Vertrauen auf die Fürbitten frommer Seelen uns aufrecht erhielte, unser Geist durch die Unermeßlichkeit der Sorgen ganz niedergedrückt würde.« In der That verzehrte sich das Leben dieses großen Papstes in Leiden und Kämpfen für die Freiheit und Reinheit der Kirche, also gegen die Investitur, d. h. die Belehnung der Bischöfe und Aebte durch Laienhand mittelst der kirchlichen Insignien von Ring und Stab, sowie gegen die Laster der Simonie und des Concubinats. Wie tapfer und muthvoll er für diese edlen, [500] erhabenen Zwecke gestritten habe, bekennen Freund und Feind. Wenn auch natürlich die Gegner eines reinen und unabhängigen Klerus, besonders jene, die außer der Kirche stehen, mit den Absichten dieses großen Papstes nicht einverstanden seyn können, so lassen ihm doch Alle die Ehre der Entschiedenheit und des bis in den Tod unerschütterlichen Muthes. Er sah mit schwerem Herzen, »daß sogar Saracenen und Heiden ihre Religionsgebräuche fester hielten, als jene, die den christlichen Namen empfangen haben«. Er war unablässig thätig. Welche Hoffnungen alle Guten an seine Wahl zum Oberhaupte der Kirche knüpften, beweisen uns am besten die folgenden Worte aus einem Briefe des hl. Petrus Damiani: »Jetzt wird das tausendfältige Haupt der giftigen Schlange zertreten; jetzt muß der schändliche Handel aufhören; jetzt soll der Fälscher Simon Magus sein Geld mehr in der Kirche schlagen; jetzt lehrt die Taube zur Arche Noa's zurück und verkündet mit grünem Oelblatte der Erde den niederhergestellten Frieden. Wiederkehrt das goldene Zeitalter der Apostel, die kirchliche Zucht wird neu aufblühen, die Tische der Wechsler, welche Tauben verkaufen. sollen umgestoßen werden.« Sah man aus seinen Neidern, als er noch im Kloster zu Clugny weilte, glühende Funken hervorspritzen, so war sein Leben und Wirken als Papst ein helles Feuer, das die Welt erleuchtete und alle Spreu in der Kirche Gottes zu verbrennen drohte. Gut stand es in der That nicht. Nur in einer kräftigen Handhabung des Steuerruders der Kirche Gottes sah er Hilfe; die Rechenschaft, die er einst nicht nur für die Bischöfe, sondern auch für die Könige der Eide werde ablegen müssen, schwebte ihm stets vor Augen. Wie es aber zum Kampfe mit Heinrich IV. kam, erklärt der in dieser Sache gewiß nicht verdächtige Geschichtschreiber Leo kurz und bündig (Gesch. des Mittelalters S. 168): »Ganz von selbst war das Zusammenwirken politischer und kirchlicher Mächte gegen Heinrich IV. entstanden, da er nicht blos die Kirche in der gleichen herabwürdigenden Weise behandelte, wie seine Vorfahren im Reiche, sondern durch die Zügellosigkeit, die er seiner Umgebung gestattete, und durch sein stetes Geldbedürfniß hingerissen wurde, das bisherige Verderben der Kirche bis auf einen Jedermann empörenden Punkt zu steigern.« Im J. 1074 hielt Papst Gregor eine große Synode zu Rom, in welcher wichtige Beschlüsse gegen die weltliche Verleihung kirchlicher Aemter, besonders um Geld, und gegen das Concubinat 98 gemacht wurden. Robert Guiscard, der Normannenfürst, ward in den Bann gethan, weil er sich weigerte, den üblichen Lehenseid zu schwören. Die Bischöfe Frankreichs, welche des Papstes Befehle für »unausführbar und unvernünftig« erklärten, wurden verdientermaßen hart getadelt. Zugleich war er in Spanien durch seine Legaten, in England durch schriftliche Aufforderungen an König Wilhelm den Eroberer für die Durchführung der kanonischen Vorschriften thätig. In ersterem Lande war außer der Entfernung der Simonie und der Priesterehe auch die Liturgie, welche er mit der römischen zu vereinbaren wünschte. Gegenstand seiner Obsorge. Den Bischof von Carthago nahm er gegen den dortigen feindseligen Klerus in Schutz, obschon damals dieses Land im Besitze der Araber sich befand. Den König Boleslaus von Polen that er in Bann, weil er den hl. Bischof Stanislaus von Krakau, der ihm sein lasterhaftes Leben mit allem Ernste vorhielt, am Altare erschlug und verstümmeln ließ. In allen Ländern Europa's wahrte er die irgendwie ererbten Rechte des apostolischen Stuhles und forderte die verlorenen oder vorenthaltenen zurück. So in Sardinien, Frankreich, England, Dänemark, Ungarn und Spanien. Wie ernst er überhaupt seine Aufgabe erfaßte. gibt sich in einem Schreiben an den Abt Hugo von Clugny zu erkennen: »Ost habe ich gesteht, daß Jesus Christus es so fügen möge, mich dem gegenwärtigen Leben zu entnehmen oder der gemeinsamen Mutter durch mich zu nützen. Es lastet auf mir unendlicher Schmerz und schwere Trauer, daß die Kirche des Morgenlandes durch des bösen Feindes Antrieb vom katholischen Glauben abgefallen ist, und werfe [501] ich den Blick auf das Abendland, nach Süden oder Norden, so finde ich kaum noch Bischöfe, die es gesetzlich sind, die das christliche Volk mit Liebe und nicht mit weltlichem Ehrgeiz regieren; und unter allen weltlichen Fürsten finde ich keinen, der Gottes Ehre der seinigen und die Gerechtigkeit dem Gewinne vorzöge. Die, unter denen ich wohne, die Römer, Lombarden und Normannen, sind fast ärger als Juden und Heiden. Und gehe ich zu mir selbst zurück, so finde ich mich von der Last eigenen Handelns so beschwert, daß fast keine Hoffnung des Heiles übrig bleibt, als vom alleinigen Erbarmen Christi.« Getreu den hier ausgesprochenen Bedürfnissen, suchte er zunächst eine Versöhnung mit der griechischen Kirche anzubahnen. Er schickte zu diesem Ende an Kaiser Michael VIII., der ihm zu seiner Erhebung auf sehr freundliche Weise hatte Glück wünschen lassen, den Patriarchen von Venedig als Legaten nach Constantinopel. Außerdem erließ er einige Male an die abendländische Christenheit Aufforderungen zum Kampfe gegen die Türken ergehen, von welchen die Griechen hart bedrängt wurden. Er selbst wollte mitziehen, das heil. Land zu befreien; doch wurde diese Expedition durch anderweitige Sorgen und Kämpfe des Papstes wieder vereitelt. Von allen Seiten erhoben sich fast unübersteigliche Hindernisse, namentlich aber in Deutschland, wo des Kaisers anfänglich so freundliches Benehmen allmälig in Kälte und offene Feindseligkeit überging. In Rom selbst ward eine Verschwörung angezettelt. Der Erzbischof Guibert (Wibert) von Ravenna, früher kaiserl. Kanzler in Italien, bewog den Crescentius (Cencius), den Sohn des ehemaligen Stadtpräfecten, einen ganz übel beleumundeten, durch mehrere Verbrechen befleckten Menschen, den Papst zu ergreifen und gefangen zu nehmen. Der Plan wurde in der Mitternachtsstunde des hl. Weihnachtsfestes ausgeführt; aber das Volk befreite seinen Oberhirten und hätte den Cencius gesteinigt, wenn nicht der edelmüthige Papst ihn begnadigt hätte. »Es war,« sagt der protestantische Geschichtschreiber Voigtin seiner »Geschichte Gregor's VII.«, »ein großer, es war der größte Augenblick in Gregor's Leben. Ungebeugt in seiner Größe, unerschüttert in seinem Geiste wie in seiner Würde, verzieh er seinem Feinde, der vor ihm im Staube lag.« Der hl. Gregor verschärfte nun in einer neuen großen Synode zu Rom im J. 1075 seine Beschlüsse, und ward endlich gezwungen, den Kaiser unter Androhung des Kirchenbannes vor einer Synode in Rom zur Rechtfertigung der ihm angeschuldigten Verbrechen vorzuladen. Dieser antwortete jedoch mit einem zu Worms von feilen Bischöfen gefaßten Decrete der Absetzung. Darin hieß es: »Heinrich, nicht durch Anmaßung. sondern durch Gottes gnädige Anordnung König, an Hildebrand, nicht den Papst, sondern den falschen Mönch.« Der Schluß lautete: »Du also, mit aller Bischöfe Fluch behaftet und durch unser Gericht verdammt, steige herab, verlaß den angemaßten apostelischen Stuhl; es soll ein Anderer auf den Stuhl St. Petri steigen, der nicht seine Gewaltthätigkeiten mit Rom umhüllt, der die rechte Lehre St. Petri lehrt. Ich, Heinrich, durch Gottes Gnade König, und alle unsete Bischöfe sagen dir: steig herab, steig herab.« Gregor aber stieg nicht herab, sondern entsetzte unter dem Beirath von 110 Bischöfen und andern versammelten Männern den Kaiser und that ihn in den Bann. Die darüber erlassene Urkunde beginnt: »Heiliger Petrus, Fürst der Apostel, neige deine gnädigen Ohren, wir bitten dich, zu uns und höre mich, deinen Diener, den du von Kindheit auf genätrt und bis auf diesen Tag aus den Händen der Gottlosen errettet hast, die mich wegen der Treue, mit welcher ich dir anhänge, gehaßt haben und hassen .... Du bist mir Zeuge, daß ich lieber in beständiger Wanderschaft mein Leben geschlossen, als daß ich deine Stelle aus weltlichem Ehrgeiz an mich gezogen hätte .... Da mir aber von Gott die Gewalt gegeben ist, zu binden und zu lösen im Himmel und auf Erden, so te.« Die Folge war des Kaisers Heinrich Buße in Canossa, die lebhaft an die des Kaisers Theodosius in Mailand erinnert. Deutschlants Fürsten waren nämlich schon lange der willkürlichen und alles erdrückenden Herrschaft des Kaisers Heinrich IV. müde und ließen ihm nun, erschreckt durch den Bannfluch, aus einer Versammlung zu Tribur (15. Oct. 1076) vermelden, daß er, wenn er nicht binnen einem Jahre vom Banne losgesprochen würde, der Regierung des Reiches verlustig seyn sollte. Deßhalb gab sich der Kaiser alle Mühe, diese Lossprechung baldmöglichst zu erlangen. Auf einem am 2. Febr. 1077 in Augsburg abzuhaltenden Fürstentage sollte das Ganze bereinigt werden. Schon war Papst Gregor [502] auf dem Wege dahin, als er in Vercelli die überraschende Nachricht erhielt, daß der Kaiser bereits nach Italien gekommen sei. Da begab sich der Papst auf das der Markgräfin Mathilde gehörige Bergschloß Canossa, wohin dann auch der Kaiser kam. Da der Papst nach den gemachten Erfahrungen in die Aufrichtigkeit der Gesinnung des Kaisers Mißtrauen zu setzen alle Ursache hatte, so widerstand er lange dem Flehen desselben und derer, die für ihn baten. Drei Tage (25–27. Jan. 1077) wurde die Sache verhandelt, und ebenso lange mußte der Kaiser in der zweiten Ringmauer des Schlosses fastend und im Bußgewande bei rauher Witterung zubringen, bis er endlich am vierten Tage die Lossprechung vom Banne unter der Bedingung erhielt, daß er vor jener Fürstenversammlung zu Augsburg erscheinen solle, wo dann der Papst zwischen ihm und seinen Gegnern richten würde; bis dahin sollte er sich der Regierung enthalten etc. Dann las der Papst die heil. Messe, reichte ihm zur Bekräftigung seiner Aufnahme in die Kirche die heil. Communion und bewirthete ihn glänzend. – Man hat dem hl. Papst Gregor VII. diese Behandlung Heinrichs oft vorgeworfen und dieselbe wohl auch, aus Feindschaft gegen die Kirche, nicht selten ins Ungeheuerliche vergrößert; aber bedenkt man die erhabene Stellung des Papstes, seine über allen Tadel weit ethabene gute Absicht, dann die gemeinen Laster, deren Heinrich IV. sich schuldig gemacht hatte, sowie daß der Stellvertreter Christi ohne allen Zweifel berechtigt war, ihm, der als Sünder vor ihm erschien, im Namen Jesu die nothwendig scheinende Buße aufzulegen, ferner daß sonst Niemand auf der Welt war, der sich dem Tyrannen gegenüber um die Unterdrückten annahm etc.; so muß man in der That, nach dem Ausspruche eines protest. welehrten, »selbst überaus roh und geistig ungeordnet seyn, wenn man die natürliche Beziehung der Nationalität so hoch anschlägt, um sich durch sie hindern zu lassen, jubelnd in den Triumph einzustimmen, den Canossa ein edler Mann über einen unwürdigen Schwächling feierte.«99 Heinrich IV. hielt indessen keine einzige der eingegangenen Bedingungen, weßhalb endlich im Mai des J. 1077 in Forchheim von den deutschen Fürsten und Bischöfen der Herzog Rudolph von Schwaben zum König gewählt wurde. Gregor hielt sich hiebei neutral; denn er hatte Heinrich IV. verziehen und wollte ohne weitere Beweise seiner Hartherzigkeit nicht weiter vorgehen. Heinrich IV. säumte aber nicht, solche Beweise in großer Menge zu liefern, weßhalb über ihn im J. 1080 neuerdings der Bann gesprochen und Rudolph als deutscher König anerkannt wurde. Nun berief der Kaiser eine Versammlung der ihm treu gebliebenen Bischöfe nach Mainz und ließ durch dieselben Gregor's größten Feind, den Erzbischof Guibert von Ravenna, zum Papste wählen, der den Namen Clemens III. annahm. Da König Rudolph in der blutigen Schlacht an der Elster im Jahr 1080 gefallen war, wurde Heinrich noch kühner und zog nun mit einer Heeresmacht nach Italien. Auf einer Synode zu Pavia wurde der Gegenpapst Clemens III. von der Mehrzahl der italienischen Bischöfe, welche auf Seite des Kaisers standen, anerkannt. Hieher kam auch der verbrecherische Cencius, um von Heinrich IV. den Lohn seiner Treue zu empfangen. Er brachte den ehrwürdigen Bischof Reginaldus von Cumä gefangen mit sich; Gott strafte ihn aber durch einen plötzlichen Tod. Auch einige Bischöfe fühlten die mächtige Hand Gottes; unter ihnen der Patriarch Sighard von Aquileia, der zu Regensburg den Verstand verlor und eines elenden Todes starb; Herzog Gozilo von Nieder-Lothringen, den man für den Urheber der Absetzung des Papstes zu Worms hielt, fiel durch Meuchelmord; Bischof Wilhelm von Utrecht, der so sehr den Papst gelästert hatte, starb bald darauf in Verzweiflung. Kurz vor Pfingsten zog Heinrich mit dem Gegenpapste nach Nom, und es wurde nun die Belagerung der Stadt [503] begonnen, welche aber, da die Römer tapferen Widerstand leisteten, zwei Jahre lang erfolglos war. Erst im dritten Jahre (1083) brachte er den Theil diesseits der Tiber größtentheils durch Bestechung in seine Gewalt; im Frühjahr 1084 endlich öffneten die Römer, die nun vom Papste keine Geldunterstützung mehr hoffen konnten, dem König Heinrich IV. die Thore der Stadt. Der hl. Papst Sregor zog sich mit seinen vornehmsten Anhängern in die Engelsburg zurück, während Guibert von Ravenna, nochmal feierlich zum Papste erwählt und in der St. Peterskirche geweiht, nun auch den König Heinrich als Kaiser krönte. Dieser aber mußte sich bald nach Siena zurückziehen, da der Normannenfürst Robert Guiscard heranrückte und unsern hl. Gregor, welcher, im Bewußtseyn der ihm gewordenen höheren Mission, bei allen Schlägen immer fest und unerschüttert geblieben war und bis ans Ende blieb, aus der Engelsburg befreite. Er begab sich nun zuerst nach Monte-Cassino, wo er im Kloster längere Zeit verweilte, und hierauf in die befestigte Stadt Salerno (jetzt im Königreich Neapel) wo er noch am Ende des Jahres 1084 eine Synode hielt und den Bann gegen Heinrich neuerdings aussprach, dann aber nach wenigen Monaten zu seinem höheren Herrn heimgerufen wurde. – Selten haben die Schriftsteller jener Zeiten Blicke in das innere Leben dieses großen Papstes gethan; allein so oft es geschieht, finden wir neuen Anlaß zur innigsten Ehrfurcht, zur rückhaltlosesten Anerkennung: »Die Wahrheit und die Gerechtigkeit,« heißt es in der Lebensgeschichte des hl. Anselmus von Lucca, welchen Gregor geweiht hatte, »fehlte nie seinem Munde; ja sogar, was noch mehr Bewunderung verdent, er kam mitten unter weltlichen Verhandlungen öfter in Ekstase (excessit mente), indem sein Geist durch die Betrachtung des Himmels sich erheiterte, und wenn er da und dort allein war, wurde er auch durch göttliche Offenbarungen erfreut und gestärkt.« Ein anderer Schriftsteller, Wilhelm von Malmesbury, erzählt von Gregor, daß er mit prophetischem Geiste die Gedanken Anderer erforschte und aussprach. Von seinem Aufenthalte in Salerno schreibt Hugo von Flavigny: »Hier blieb er, Gott andächtig dienend und in den Drangsalen, die über ihn so zahlreich gekommen waren, Dank sagend; er bestärkte sich im Herrn und wuchs im Geiste; denn keines Gutes entbehrt, wer ein reines und einfältiges Gewissen hat. Sicher ging er einher auf den Wegen der Gerechtigkeit, denn er trug in sich das Bewußtseyn, daß er leide für die Wahrheit. Er liebte die Armuth Christi desto mehr, je verächtlicher ihm die trügerischen und scheinbaren Reichthümer des irdischen Mammon waren.« Aus solchen Triebfedern entsprangen also seine Handlungen, seine Reden, seine oft sehr hart scheinenden Strafen. Die ganze Welt trat er mit Füßen. um die Ehre Christi zu retten. Er war ein Nachfolger der Apostel und wollte es in Wahrheit seyn. Hätte er irdische Größe und Anerkennung gesucht, so würde sie seinem alles bewältigenden Geiste, seiner Thatkraft, seinem Muthe in vollem Maße zugestossen seyn; er hatte die Schleußen in seiner Hand; er öffnete sie, aber nur himmelwärts. Da er nun durch und durch Wahrheit und Offenheit war, wie konnte es anders seyn, als daß die Lüge, die Heubelei und die Niederträchtigkeit, die in der Person Heinrichs IV. sich verkörpert zu haben sbien, vor seinem Angesichte zu Schanden wurde?! Gregor verdanktseine irdische Größe, die ihm auch die feindseligsten Schriftsteller nicht absprechen können, einzig seinem Verdienste und der unbefleckten Reinheit seines Charaitere, seine geistige Größe aber seiner treuen und eifrigen Mitwirkung mit der göttlichen Gnade, die ihn von Kindheit an auserwählt und in ihren besondern Schutz genommen hatte. – Seit dem Anfange des Jahres 1085 wurde et gefährlich krank; vom Mai angefangen konnte er das Bett nicht mehr verlassen. Als man ihn wegen der Gebannten fragte, gab er drei Tage vor seinem Tode die Antwort: »Außer Heinrich, den sie König nennen, außer Guibert, der den Stuhl zu Nom überfallen hat, und allen denen, die durch Rath und Beistant deren Schlechtigkeit und gottlosen Sinn begünstigen, absolvire und segne ich alle Menschen, die unbezweifelt glauben, daß ich die besondere, den Aposteln Petrus und Paulus übertragene Vollmacht habe.« Darauf mußten ihm die Umstehenden die Hand reichen und versprechen, mit Heinrich IV. keine Gemeinschaft zu pflegen, bis er durch aufrichtige Buße sich mit der Kirche versöhnt hätte. Seine letzten Worte waren, »Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehaßt, darum sterbe ich in der Verbannung.«Sein Heimgang erfolgte am 25. Mai 1085, nachdem [504] er den apostolischen100 Stuhl zwölf Jahre, einen Monat und drei Tage inne gehabt. Er liegt in der herrlichen Kathedrale zu Salerno begraben. Sein Andenken steht bei Allen, welche nicht von Vorurtheilen geblendet sind, insbesondere bei den Freunden des Rechtes und der Wahrheit, im Segen. Er ist der Retter der Kirche aus dem Schlamme der Unsittlichkeit und den Stricken der weltlichen Gewalt. – Schon bei Lebzeiten wurden Wunder von ihm erzählt, die sich an seinem Grabe wiederholten. Von diesen sagt der Biograph des hl. Anselmus von Lucca (Mart. II. 653): »Von den Wundern, die der Herr durch ihn gewirkt hat, haben wir einige selbst gesehen, andere von glaubwürdigen Zeugen gehört,« wie z. B. Aussätzige, welche mit dem Wasser, womit sein Leichnam gereinigt worden war, sich wuschen, die Gesundheit erlangten etc. Indessen ist sein ganzes, an Kämpfen und Leiden so reiches Leben, das einzig Gottes Ehre, die Verbreitung der Wahrheit, die Lauterkeit der Sitten im Auge hatte, ein fortgesetztes Wunder der göttlichen Gnade. Gregor ist ein Held, ein Streiter für Jesus Christus im eminentesten Sinne. Er muß aber nicht nach seinen einzelnen Handlungen, die allerdings auch das Gepräge menschlicher Thaten an sich haben, und noch weniger nach den Erfolgen derselben, sondern nach dem, was er wollte, beurtheilt werden. Die Gedenktafel an seinem Grabe erzählt, daß seine Leiche 500 Jahre nach seinem Tode fast unverwesen gefunden worden sei. Seit dem J. 584 stent sein Name am 25. Mai im Mart. Rem., und Papst Paul V. veröffentlichte im J. 1606 nach sorgfältiger Untersuchung seines Lebens und seiner Wunder die Canonisations-Bulle. Schon früher (seit dem J. 1595) wurden in Salerno seine Reliquien erhoben und der öffentlichen Verehrung ausgestellt. Einige derselben befinden sich nach Piazza (J. 450) auch zu Nom bei St. Maria Maggiore. Im römischen Brevier wird sein Fest ritu duplici an genanntem Tage seit dem J. 1728 gefeiert. Seine Abbildung (Propyl. ad Acta Sanctorum Maji) zeigt den entschlossenen Charakter, mit dem Muthe und der Hingabe eines Martyrers; die Augen sind vertrauensvoll zum Himmel erhoben, die Hände zum Gebete gefaltet. Er trägt die Casula und die (einfache) Tiara. Eine andere Abbildung, deren bei Migne gedacht ist, zeigt den Heiligen auf den Knieen vor einem Bilde der seligsten Jungfrau, das ihm Engel herbeitragen. Eine Taube befindet sich auf seiner Schulter. Sein Leben ist vielfach beschrieben worden. Die wichtigste Quelle für die Geschichte des hl. Gregor bilden seine Briefe etc., von welchen wir noch 359 besitzen, sowie die seines langjährigen Freundes und Mitkämpfers Petrus Damiani. Vgl. W. W. (K.-L. IV. 711). Am 4. Mai wird in Salerno seine Erhebung begangen. (VI. 102 bis 159 und vorzüglich Jun. VI. 166–198.)

Quelle: Vollständiges Heiligen-Lexikon, Band 2. Augsburg 1861, S. 497-505. Permalink: http://www.zeno.org/nid/2000296810X